Als in Frankreich 1830 die Revolution gegen Karl X. ausbrach wurde darüber auch in den Ländern des Deutschen Bundes berichtet. Die Karlsbader Beschlüsse hatten die Verleger und Herausgeber fest im Blick. Niemand sollte in Deutschland zu einer Revolution aufrufen, niemand den Funken aus Frankreich über den Rhein tragen.
Die Lebensbedingungen der Menschen befanden sich damals im Wandel. Die industrielle Revolution schritt voran. Es gab große soziale Probleme. Berufe wurden wegen der Maschinen überflüssig, man benötigte billige Arbeiter in den Fabriken. Die geleistete Arbeit wurde nicht gerecht entlohnt. Miete und Lebensmittel waren teuer. Zwischen Arm und Reich klaffte eine große Lücke. Aber war man in Deutschland schon bereit für eine Revolution wie es sie 1789 in Frankreich gegeben hatte? Bei den folgenden Revolten handelte es sich nicht um geplante Revolutionen. Obwohl man einige Vorfälle heute so nennt, so handelte es sich um spontane, aus einer Situation heraus entstandene Unruhen, die manchmal noch nicht einmal ein revolutionäres Ziel verfolgten. Andere Unruhen sorgten aber auch dafür, dass sich Anführer fanden, die den Aufstand lenken und instrumentalisieren wollten. Dennoch fällt es schwer, von Revolutionen zu sprechen. Zudem ist es fraglich, ob man sie wirklich in einen Kontext mit der Revolution in Frankreich bringen kann, oder ob sie rein zufällig alle in das Jahr 1830 fielen. Waren die Aufstände von 1830 wirklich schon Vorboten für das, was achtzehn Jahre später in ganz Deutschland zu Tage treten sollte? In gewisser Weise kann man diese Frage mit Ja beantworten, denn auch die revolutionären Ereignisse in Hessen deuteten den Weg der Deutschen.
Der Aachener Arbeiteraufstand
Am
Mittag des 30. August kam es in Aachen zu einer Versammlung von
aufgebrachten Fabrikarbeitern. Auslöser war der Lohnabzug für einen
Scherer namens Jacobi, welchem ein Zehntel seines Wochenlohnes abgezogen
werden sollte, weil er angeblich Tuch beschädigt haben sollte. Die
Arbeiterschaft empfand diese Sanktion als ungerechtfertigt und
beschloss, zu der Fabrik der Geschwister Nellesen zu marschieren, bei
der Jacobi arbeitete, um den Lohn für ihn einzufordern. Hinzu kamen
Stimmen, die generell einen höheren Lohn forderten und jene, die wegen
der Maschinen um ihre Arbeit fürchteten und deren Zerstörung forderten.
Alle gemeinsam schlossen sich dem Zug der Arbeiter an und der
Demonstrationszug bewegte sich durch die Aachener Straßen auf die
besagte Fabrik zu. Schaulustige vergrößerten die Menge noch.
Vor den
Toren forderte man dann rufend die Auszahlung des gesamten Lohnes für
Jacobi. Einige Arbeiter versuchten auch in die Fabrik einzudringen.
Loyale Arbeiter verhinderten dies jedoch und „verteidigten“ die
Fabriktore und Mauern. Herbeieilende Gendarmen versuchten die Menge
aufzulösen. Zwar wich die Menge zurück, doch es flogen erste Steine
gegen die Uniformierten, die mit gezogenen Säbeln die Aufständischen
verfolgten, welche sich in die Innenstadt bewegten, vor das Haus des
Industriellen und sehr wohlhabenden James Cockerill. Da er für die
Einführung der Maschinen verantwortlich gemacht wurde, stürzten sich die
Arbeiter in ihrer Wut auf sein Haus, plünderten und verwüsteten es. Den
Gendarmen entglitt nun die Kontrolle und der Mob regierte die Straßen
der Stadt. Aufgebrachte versuchten das Zuchthaus zu stürmen, wo viele
Menschen wegen illegalen Schlagens von Holz, Diebstählen aus
Gemüsegärten und ähnlichen „Arme-Leute-Vergehen“ einsaßen.
Werkzeuge
zum Sturm wollte sich die Menge aus einer kleinen Fabrik in der Nähe
besorgen, jedoch scheiterte man auch hier an loyalen Beschäftigten.
Aachen
hatte keine Garnison und die nächste war zu weit entfernt um schnelle
Abhilfe zu schaffen. Gendarmen gab es zu dieser Zeit recht wenige,
sodass die Stadtadministration zu anderen Mitteln greifen musste. Es
wurde eine Bürgerwehr gebildet und mit Musketen bewaffnet.
Im
Gegensatz zu den Arbeitern, Handwerkern und Tagelöhnern galten die
Bürger während der ganzen Zeit, bis einschließlich 1849 oftmals als
Garanten für Sicherheit und Ordnung, denn sie waren stets darum bemüht
ihren Besitz und Wohlstand zu bewahren. Ein aufgebrachter, plündernder
Mob gefährdete dies. Zudem waren sie unempfänglicher für die
Motivationen der Handwerker und Arbeiter, die Veränderungen mit
Waffengewalt herbeiführen zu wollen. Die Bürgerwehren standen 1848 oft
genug mit dem Militär gegen die Aufständischen Gewehr bei Fuß oder
blieben ein unzuverlässiger Partner der Revolutionäre.
In Aachen
hatten die Aufrührer im Laufe ihrer Plünderungen von Privathäusern
einige Schusswaffen nebst Munition erbeutet, jedoch kam es zu keiner
größeren Schießerei. Bürgerwehr und Gendarmen sorgten nach mehreren
Stunden wieder für Ruhe und Ordnung. Einige Aufrührer wurden denunziert
und verhaftet.
Der Braunschweiger Schlosssturm
Am
7. September brach ein revolutionärer Aufstand in Braunschweig aus. Der
regierende Herzog Karl II., wegen seines Reichtums auch
„Diamantenherzog“ genannt, hatte den Zorn der Arbeiter, Bauern und
Bürger der Stadt Braunschweig und des Umlandes auf sich gezogen. Während
er in Saus und Braus lebte, verschlechterten sich die Lebensbedingungen
seiner Untertanen zusehends. Im Zuge der Ereignisse in Frankreich
rebellierten die Braunschweiger nun offen gegen den Herzog. Eine
aufgebrachte Menge zog zum Schloss um dort zu demonstrieren, jedoch
schlug die Stimmung wegen der Missachtung durch den Herzog schnell in
Gewalt um. Die Soldaten vor und auf dem Schlossgelände fraternisierten
nicht mit dem Mob, griffen jedoch auch nicht ein als dieser die Zäune
und Tore zerschlug, um ins Schloss einzudringen. Im Schloss brach
später, während der Plünderung, ein Feuer aus. Ob mutwillig gelegt oder
aus Unachtsamkeit ist nicht bekannt, jedoch brannten große Teile des
Schlosses bis auf die Grundmauern nieder. Der Herzog floh noch in
derselben Nacht aus der Stadt. Sein beliebterer Bruder Wilhelm, der
später auch vom Bundestag in Frankfurt am Main als legitimer Herrscher
Braunschweigs anerkannt wurde, folgte ihm auf Bitten der Stadtverwaltung
an die Spitze der Regierung.
Die Berliner Schneiderrevolution
Wenige
Tage nach dem Braunschweiger Schlosssturm erreichten die Unruhen auch
die Hauptstadt Preußens, jedoch hatten sie hier weniger die
Lebensumstände zur Ursache, als mehr das Verhalten der Staatsorgane
gegenüber dem Volk. Am 14. September äußerte sich ein Schneidergeselle
in Berlin öffentlich pro-revolutionär und wurde von der Polizei dafür,
ohne triftigen Grund, verhaftet. Später folgten weitere Verhaftungen von
Schneidergesellen, ebenfalls aus nichtigen Gründen. Anschließend
versammelten sich mehrere tausend Zunftbrüder und andere sich
solidarisierende Handwerksgesellen. Sie zogen vor die Köllnische
Polizeiwache um die Freilassung der Verhafteten zu fordern. Die Polizei
reagierte mit der Verhaftung von Demonstranten, hauptsächlich
Handwerkern.
Drei Tage später versammelten sich wieder Massen,
diesmal auf dem Platz des Berliner Stadtschlosses. Zum einen waren es
aufgebrachte Handwerker, zum anderen aber auch Schaulustige. Aus der
Menge heraus bewarfen Aufgebrachte die als Schlosswache aufgezogenen
Grenadiere mit Steinen und es kam zu einem Handgemenge mit den Soldaten,
als plötzlich aus Seitenstraßen Dragoner und Ulanen in die Menge
ritten. Mit den Säbeln schlugen sie auf die auseinanderströmende
Menschenmasse ein. Mehr als 70 Festnahmen gab es an diesem Tag. Die
Polizeistreifen in der Nacht wurden durch Militärpatrouillen
unterstützt.
Das brutale Vorgehen der Soldaten, auch gegen
unbeteiligte Bürger, zerbrach das Vertrauen zwischen den Berlinern aller
Stände und König Friedrich Wilhelm III., obwohl bezweifelt werden darf,
dass dieser über die genauen Umstände und Ursachen für den Aufstand
unterrichtet wurde.
Jedenfalls forderte nun auch das Bürgertum eine
Revolution, jedoch eher gegen die herrschenden Minister als gegen den
König. Erstere wurden dafür verantwortlich gemacht, dass die Verfassung,
die der König im Zuge der Befreiungskriege versprochen hatte, nicht
eingeführt worden war. Es wurde der Ruf nach einer konstitutionellen
Monarchie laut und einer verfassungsrechtlichen Regierung.
Von
Seiten der Behörden rief man in öffentlichen Anschlägen zu Ruhe und
Ordnung auf. Doch durch die vorangegangenen Angriffe des Militärs waren
die Menschen aufgebracht und so kam es am 19. September erneut zu einer
Auseinandersetzung. Ein Demonstrationszug bewegte sich durch die Stadt,
es kam zu Gewalt gegen Geschäfte und Häuser, sodass die Gendarmen das
Militär um Hilfe baten. Kavallerie preschte in die Menschenmenge und
ritt rücksichtlos nieder was ihr in den Weg kam. Infanteristen
marschierten hinterher und ergriffen jeden am Boden liegenden
„Aufrührer“. Es kam später zu 200 Urteilen, von Schlägen bis hin zu
mehreren Tagen Arrest.
Die Münchener Weihnachtsunruhen
Ende
des Jahres 1830, am Heiligen Abend in München, zogen Studenten mit
„Katzenmusik“ von der Neuhauser Straße zum Karlstor. Viele der Studenten
waren Mitglieder der Burschenschaft Germania. Warum sie dies taten kann
nicht eindeutig geklärt werden. Man vermutet sowohl politische
Hintergründe wie auch einen einfachen Studentenstreich. Bei vielen
Bürgern sorgte diese Katzenmusik jedoch für Unmut. Herbeigeeilte
Gendarmen verhafteten aus der Menge der Studenten mehrere vermutliche
Wortführer, die sich zudem geweigert hatten sich überprüfen zu lassen.
Die Verhaftungen wiederum riefen einen Auflauf von Studenten vor der
Polizeiwache nach sich. Laut skandierte man für die Freilassung der
verhafteten Kommilitone. Als die Gendarmen nicht reagierten, begannen
die erbosten Studenten Scheiben einzuschlagen und forderten in den
umliegenden Gaststuben die Menschen auf, sich ihnen anzuschließen und
die Freunde gewaltsam zu befreien.
Den Gendarmen wurden daraufhin
Musketen ausgehändigt und ein Bote zur Kaserne am Heumarkt gesandt, mit
der Bitte um Unterstützung durch die dort stationierten Kürassiere.
Zusammen mit dem Stadtkommandanten schaffte es der Polizeidirektor
persönlich, die Situation zu deeskalieren und er ließ schließlich auch
die Gefangenen frei. Die Studenten zogen ruhig in ihre Unterkünfte ab.
Eine
Militärpatrouille kam zufällig in der Nacht des 26. Dezember auf den
27. zum Schauplatz einer Schlägerei zwischen Studenten und
Handwerksburschen. Insgesamt soll es sich um mehr als dreißig junge
Männer gehandelt haben. Obwohl solche „Knoten“ in der damaligen Zeit
nicht ungewöhnlich waren, versuchten die Soldaten, die Männer
auseinander zu bringen. Jetzt wandten sich aber die Streiter plötzlich
gegen die Soldaten, welche sich zum Schrannenplatz zurückzogen, wo die
Hauptwache des Militärs stand. Mittlerweile waren die Studenten, wie
auch die Handwerker von Gleichgesinnten verstärkt worden und
Schaulustige hatten sich eingefunden. Gendarmen kamen hinzu um die
Soldaten zu unterstützen. Die Situation geriet außer Kontrolle als
alarmierte schwere Kavallerie vom Heumarkt her erschien und gemeinsam
mit der Infanterie gegen die Menge vorging. Es gab zahlreiche Verwundete
und viele Verhaftungen.
In Folge der Tumulte wurden am 27. Dezember
die militärischen Wachen in München verstärkt. Wie auch in Berlin gab es
aus der Bevölkerung massive Kritik gegen die überzogene Gewalt des
Militärs, welche jedoch ungehört verklang.
In der darauffolgenden
Nacht (27./28.) versammelten sich erneut mehrere hundert Studenten vor
der Hauptwache, in der sich die verstärkte Wachmannschaft von etwa 40
Soldaten verschanzte. Der Wachthabende ließ Generalmarsch schlagen,
worauf auch ein Detachement Kürassiere herbei geritten kam. Gendarmen
versuchten die Menge zu beruhigen oder aufzulösen, wurden aber
verspottet oder bedroht. Als der Stadtkommandant das Gerücht hörte, die
Studenten hätten sich bewaffnet, gab er Befehl an die Kürassiere zum
Angriff. Es gelang den gepanzerten Reitern die Menge zu zerstreuen und
wieder gab es Verhaftungen.
Am Tag darauf erfuhren die Militärs, dass
Bürger angeblich das Zeughaus und die Hauptwache stürmen wollten. Alle
Wachen wurden in die Kasernen zurück berufen und die Landwehrangehörigen
aus München einberufen. Durch die nun folgende starke Militärpräsenz
beruhigte sich die Lage in München endgültig wieder. Als Folgen des
Aufruhrs, welcher von den Obrigkeiten als politisch motiviert angesehen
wurden, gelten die vorübergehend geschlossene
Ludwig-Maximilians-Universität, die Ausweisung aller Studenten, die
nicht aus München stammten, sowie der Ausschluss von Angehörigen der
Germania von allen Studiengängen in Bayern.
Der Aufstand in
Aachen war zu Beginn solidarisch engagiert und eskalierte aufgrund der
Gleichgültigkeit und Missachtung seitens der Fabrikbesitzer. Bei manch
einem Vorfall zwischen 1815 und 1850 entwickelten solch aufgebrachte
Menschenmengen eine gewisse Eigendynamik, welche, nicht von Anführern
gesteuert, zu kopfloser Randale und Zerstörungen führte. Der Aachener
Aufstand lässt sich in den Widerstand gegen die Industrielle Revolution
und die Liste der Maschinenstürme einreihen. Vielerorts wurde in dieser
Zeit randaliert, weil die Maschinen günstigere Waren produzierten oder
Arbeitsplätz gefährdeten. Als Vorbote der Revolution von 1848 ist der
Aachener Aufstand in Verbindung zu bringen, da die hier zu Tage
tretenden Missstände nämlich weder von der Politik, noch von der
Industrie ernst genommen wurden. Sie verschlechterten sich sogar noch
weiter.
Im Gegensatz zu anderen Aufständen des Jahres kam es in
Braunschweig wirklich zu einem Palaststurm und der Vertreibung des
amtierenden Herrschers. Dies hatte natürlich deutliche Parallelen zu den
Revolutionen in Frankreich. Die Monarchie an sich blieb aber intakt und
ihre Abschaffung war auch nicht hauptsächlicher Grund für den Aufstand
in Braunschweig. Der Bruder des vertriebenen Herzogs gab dem Herzogthum
eine Verfassung, welche den Bürgern Grundrechte einräumte und blieb noch
bis 1884 auf dem Thron.
In Berlin lässt sich das Verhalten der
Aufständischen im Nachhinein klar mit der ungerechten Behandlung durch
die Polizei begründen. Der Zulauf und die Solidarisierung der Handwerker
untereinander ist nichts Ungewöhnliches. In der damaligen Zeit bildeten
junge Männer, resultierend aus ihrer beruflichen Zugehörigkeit, eine
Art Clique. So konnte es zu handfesten Schlägereien kommen, wenn eine
Gruppe Schneidergesellen auf eine Gruppe aus Schustergesellen oder
Studenten traf. Andersherum solidarisierten sich die Gesellen auch
schnell miteinander, wenn es zu Ungerechtigkeiten seitens der
Arbeitgeber oder Staatsbediensteten kam. Handwerker waren durch die
Wanderschaft oftmals weit in der Welt herumgekommen, hatten andere
politische Systeme kennengelernt oder freiheitliche Ideen aufgeschnappt.
Zudem war die Hemmschwelle zur Gewalt etwas geringer bei den Gesellen,
denn wie schon gesagt, Schlägereien waren keine Seltenheit.
Dies galt
ebenso für die Studenten. Die Unruhen in München zeugen von einem hohen
Aggressionspotential, vielleicht auch ein wenig Überschätzung. Es ist
fraglich, was die Studenten dazu bewegt haben mag, den Konflikt mit dem
Militär zu suchen. Waren sie davon ausgegangen, dass die Soldaten nicht
auf sie schießen würden? Mit einer Revolution hat der blutige
Zusammenstoß in München wohl am wenigsten von allen drei genannten
Ereignissen zu tun. Und doch wird er immer als Ereignis des Vormärzes
genannt. Letztendlich waren es auch wieder Studenten, welche 1848 zum
Sturz des bayrischen Königs beitrugen.
Von einer wirklichen
Revolution konnte man hingegen in dem Kurfürstentum Hessen reden. Anders
als in den zuvor beschriebenen Konflikten wurden hier
verfassungsrechtliche Reformen eingeleitet.
Aufstände in Kurhessen
Nachdem
in den Jahren 1815/16 die Verhandlungen zwischen Kurfürst Wilhelm I.
und den althessischen Landständen über eine moderne Verfassung
gescheitert waren, verzichtete der Kurfürst, entgegen den Vorgaben des
Artikel 13 der Deutschen Bundesakte aus dem Jahr 1815, auf eine
Verfassung und regierte formal nach der altständischen Verfassung
weiter, faktisch allerdings absolutistisch ohne die Landstände, da er
sie nicht einberief. Auch der Thronwechsel 1821 zu Gunsten Kurfürst
Wilhelm II. brachte, trotz einiger Reformansätze in der Anfangszeit
seiner Regierung, keine Änderung dieser Politik.
Erst die
französische Julirevolution von 1830, erzeugte den nötigen Druck, damit
auch das Kurfürstentum Hessen(-Kassel) eine moderne Verfassung erhielt.
Am Anfang standen am 6. September Unruhen in Kassel, die sich auf andere
kurhessische Städte und ländliche Regionen ausweiteten. Kurfürst
Wilhelm II. empfing unter dem massiven Druck der Straße am 15. September
eine Bürgerdeputation unter dem Kasseler Bürgermeister Karl Schomburg
und sicherte ihr die Einberufung der Landstände und die Ausarbeitung
einer Verfassung zu. Die Einberufung erfolgte am 19. September 1830.
Am
21. September 1830 traf eine Delegation aus Hanau ein, die forderte,
dass auch die Landesteile in den Landständen repräsentiert sein sollten,
die bisher dort nicht vertreten waren – so auch die Grafschaft Hanau,
die „erst“ 1736 an die damalige Landgrafschaft Hessen gelangt war. Die
Zusage gab der Kurfürst. Die Zölle, die Hanau besonders belasteten, und
die aufzuheben die Delegation ebenfalls gefordert hatte, hob er nicht
auf.
Als die Delegation am 24. September mit diesem Ergebnis nach
Hanau zurückkehrte, brach auch hier die Revolution aus. Unter dem Druck
der Aufstände im ganzen Land gab der Kurfürst schließlich nach.
Der
Landtag trat am 16. Oktober zusammen. Anfang Oktober 1830 legten die
beauftragten Minister den Landständen den ersten Entwurf einer
Verfassung vor, die so genannte Landesherrliche Proposition. Diese
lehnte sich stark an den Entwurf von 1816 an. Zu der seitens der
Regierung erhofften schnellen Annahme der Proposition kam es aber nicht.
Vielmehr wollten die Landstände darüber beraten.
Bei den
Diskussionen hatte die „kurfürstliche Partei“ innerhalb der Stände keine
Fürsprecher, wurde dort aber durch die zwei Landtagskommissare
vertreten. Der Adel, vier Standesherren und die Ritterschaft, entsandten
zwar insgesamt 7 Vertreter in den Landtag, konnten ihre
Standes-Interessen aber nur sehr begrenzt in der Verfassung verankern,
da ihre Privilegien von allen anderen Beteiligten abgelehnt wurden.
Nicht einmal die sonst zu dieser Zeit übliche, im Wesentlichen für den
Adel reservierte Zweite Kammer konnten sie durchsetzen. Die Vertreter
der Bauern waren, aufgrund des Wahlrechtes, vor allem Großbauern und
nichtadelige Gutsbesitzer. Deren Interessen stimmten weitgehend mit
denen des Bürgertums überein. So konnte das Bürgertum den Inhalt der
Verfassung im Wesentlichen bestimmen was dazu führte, dass der Inhalt
der Verfassung sehr liberal und fortschrittlich ausfiel.
Beide Seiten
drängten Ende des Jahres auf einen Verhandlungsabschluss. Der Kurfürst
tat dies aus rein privaten Gründen, weil er glaubte, dann seine Mätresse
wieder nach Kassel holen zu können. Das bürgerliche Lager fürchtete
eine Zuspitzung der Unruhen, weil die unteren gesellschaftlichen
Schichten weiterhin Druck ausübten und eine weitere Eskalation
vermutlich den Einmarsch von Bundestruppen nach sich gezogen hätte (die
sogenannte Bundesexekution), was sowohl der Kurfürst wie auch die
Bürgerschaft vermeiden wollten. So kam ein Kompromiss zustande über den
noch bis ins nächste Jahr beraten wurde