Nach den Befreiungskriegen gegen Napoleon hegten viele Deutsche die Hoffnung auf eine Erneuerung der Reichseinheit, die sich nach dem Wiener Kongress 1815 aber als Illusion erwies. Die im Artikel 13 der Bundesakte versprochenen landständischen Verfassungen wurden nur zögerlich oder gar nicht erlassen; so erhielt etwa Sachsen-Weimar-Eisenach am 5. Mai 1816 als einer der ersten deutschen Staaten durch Großherzog Karl August eine teils altständische, teils moderne Verfassung, die als erste in der deutschen Geschichte die vollständige Presse-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit einschloss. Die Studenten der Universität Jena, bis dahin in den traditionellen Landsmannschaften organisiert, gründeten 1815 die Urburschenschaft, um die deutsche Einheit und vor allem die „Tugenden der Nation“ an der Universität vorzuleben. Viele von ihnen hatten in den Befreiungskriegen im Lützowschen Freikorps oder als Freiwillige Jäger gekämpft.
Anlässlich
des 300. Jahrestages des Thesenanschlags Martin Luthers am 31. Oktober
1517 und im Gedenken an die Völkerschlacht bei Leipzig vom 16. bis 19.
Oktober 1813, beschlossen Jenaer und Hallenser Urburschenschaftler auf
einem Pfingsttreffen in Naumburg, Studenten deutscher Universitäten zum
18. Oktober 1817 auf die Wartburg zu einem „Nationalfest“ einzuladen. Am
11. August 1817 ergingen aus Jena Einladungsschreiben an
Burschenschaften und Landsmannschaften der Universitäten Berlin,
Breslau, Erlangen, Gießen, Göttingen, Greifswald, Heidelberg, Kiel,
Königsberg, Leipzig, Marburg, Rostock und Tübingen. An die Studenten im
Kaisertum Österreich ergingen angesichts der strengen
Abschottungspolitik des Staatskanzlers Metternich keine Einladungen. In
der Einladung hieß es:
„Der Himmel segne unser gemeinsames Streben
ein Volk zu werden, das voll der Tugenden der Väter und Brüder durch
Liebe und Eintracht die Schwächen und Fehler beider beseitigt.“
Vorbild
für die Form der Veranstaltung waren die Volksfeste der Französischen
Revolution und die Festveranstaltungen der Turnbewegung.
Die Wartburg
wurde als Ort gewählt – teils wegen der Nähe zur Universität Jena,
teils wegen der liberalen Einstellung von Großherzog Karl August – vor
allem wegen ihrer Bedeutung als Nationalsymbol (Luther).
Über 450 Studenten von dreizehn Universitäten erschienen. Mehr als die Hälfte der Teilnehmer studierte auf eine Stelle im Staats- oder Kirchendienst hin, 50 Prozent kamen aus Beamtenfamilien. Auch mehrere Professoren der Universität Jena nahmen teil. Unter dem Wahlspruch „Ehre, Freiheit, Vaterland“ wurden im Rittersaal der Burg zunächst Reden gehalten. Der Theologiestudent Heinrich Arminius Riemann lobte Luther als deutschen Freiheitshelden, Professor Fries erläuterte vage seine Vorstellungen, wie die deutsche Einheit zu verwirklichen sei. Dann sang man den Choral „Nun danket alle Gott“, der seit der Schlacht von Leuthen 1757 als „preußische Hymne“ galt. Die Veranstaltung endete mit einem Schlusssegen, weshalb sie der Historiker Étienne François als eine Mischung aus „protestantischem Gottesdienst und politischer Kundgebung“ beschreibt. Anschließend gab es ein Festessen, bei dem Trinksprüche und Hochrufe auf Luther und drei prominente Gefallene der Befreiungskriege ausgebracht wurden, nämlich auf Gerhard von Scharnhorst, Ferdinand von Schill und Theodor Körner. Bis dahin verlief das Fest im Ganzen gesittet und eher harmlos.
Bücherverbrennung
Das
änderte sich mit der Verbrennung von Büchern und symbolhaften
Gegenständen, die nun folgte. Auf dem nahe gelegenen Wartenberg hatten
Angehörige des Landsturms zum Gedenken an die Völkerschlacht ein
Siegesfeuer entzündet, und dorthin waren die Studenten nach dem
Festessen mit einem Fackelzug gezogen. Die Professoren hatten aus
gesundheitlichen Gründen und aus Furcht vor dienstrechtlichen Sanktionen
auf eine Teilnahme verzichtet, die burschenschaftliche Festleitung
hatte sich gegen die Aktion ausgesprochen. Die Studenten warfen
verschiedene Uniformteile ins Feuer. Zu den, in Form von entsprechend
gekennzeichneten Makulaturballen, symbolisch verbrannten Büchern
gehörten „Die Geschichte des Deutschen Reichs“ des Schriftstellers und
russischen Generalkonsuls August von Kotzebue, der „Code Civil“ von
Napoleon I., sowie die Germanomanie des jüdischen Schriftstellers Saul
Ascher, der sich abfällig über Ernst Moritz Arndt und Friedrich Ludwig
Jahn geäußert hatte, die beiden Wortführer der jungen deutschen
Nationalbewegung.
Die Beschlüsse des Wartburgfestes
Im
Nachgang des Wartburgfestes wurden die geäußerten Gedanken unter
Mithilfe des Jenaer Professors Heinrich Luden in einem Programm
zusammengefasst.
Die 35 Grundsätze und 12 Beschlüsse lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:
Die
politische Zerissenheit Deutschlands soll der politischen, religiösen
und wirtschaftlichen Einheit weichen: „Ein Deutschland ist, und ein
Deutschland soll sein und bleiben.“ (1. Grundsatz)
„Die Lehre von der
Spaltung Deutschlands in das katholische und in das protestantische
Deutschland ist irrig, falsch, unglückselig.“ (5. Grundsatz)
„Mauten,
Zölle und Handelssperren zwischen deutschen Ländern, Verschiedenheiten
in Maß, Gewicht, Münze (ihrem Gewicht nach und ihrer Bestimmung): alle
diese Dinge schaden der Ehre Deutschlands bei den Fremden, sind in sich
selbst verderblich für den Geist unsers Volks, quälen den einzelnen und
bringen ihn zu Verlust und Schaden.“ (11. Grundsatz)
Deutschland soll eine konstitutionelle Monarchie werden. Die Minister sollen der Volksvertretung verantwortlich sein.
„Die
Fürstenwürde ist das Erhabenste auf Erden und darum für das Heiligste
zu ehren und zu achten; denn sie stellt die Einheit des Bürgers und des
Staates dar.“ (15. Grundsatz)
„Der Wille des Fürsten ist nicht das
Gesetz des Volkes, sondern das Gesetz des Volkes soll der Wille des
Fürsten sein.“ (16. Grundsatz)
Alle Deutschen sind vor dem Gesetz
gleich und haben Anspruch auf ein öffentliches Gerichtsverfahren vor
Geschworenengerichten nach einem deutschen Gesetzbuch.
„Freiheit und
Gleichheit ist das Höchste, wonach wir zu streben haben […]. Aber es
gibt keine Freiheit als in dem Gesetz und durch das Gesetz, und keine
Gleichheit als mit dem Gesetz und vor dem Gesetz. Wo kein Gesetz ist, da
ist keine Gleichheit, sondern Gewalttat, Unterwerfung, Sklaverei.“ (19.
Grundsatz) „Jeder, von welchem der Staat Bürgerpflichten fordert, muß
auch Bürgerrechte haben.“ (25. Grundsatz)
„Überhaupt sind öffentliche
Gerichtspflege und das Geschworenengericht in peinlichen Fällen die
sicherste Bürgschaft für die gerechte Verwaltung des Rechts.“ (32.
Grundsatz)
Alle geheime Polizei ist durch Ordnungsorgane der Gemeindeverwaltungen zu ersetzen.
„Die
polizeiliche Gewalt kann von den Gemeinen, sobald diese eine gehörige
Einrichtung haben, verwaltet werden […]. Geheime Polizei ist nur in
Zeiten des Kriegs zu entschuldigen; in den Zeiten des Friedens beweist
sie, daß Tyrannei herrsche oder erstrebt werde. […] wer der geheimen
Polizei zur Zeit des Friedens dient, der begeht einen Verrat an der
Freiheit.“ (34. Grundsatz)
Sicherheit der Person und des Eigentums,
Abschaffung der Geburtsvorrechte und der Leibeigenschaft sind ebenso
verfassungsmäßig zu sichern wie die besondere Förderung der bislang
unterdrückten Klassen.
„Alle Gesetze haben die Freiheit der Person und die Sicherheit des Eigentums zum Gegenstande.“ (20. Grundsatz)
„Die Geburt ist ein Zufall.“ (26. Grundsatz)
„Vorrechte
sind mit der Gerechtigkeit unvereinbar. Wo es Bevorrechtigte gibt, da
muß es auch Beeinträchtige geben. Dem Recht muß die Pflicht
gegenüberstehen. Größere Rechte können im Staate nur diejenigen haben,
die größere Pflichten haben.“ (27. Grundsatz)
„Das erste und
heiligste Menschenrecht, unverlierbar und unveräußerlich, ist die
persönliche Freiheit. Die Leibeigenschaft ist das Ungerechteste und
Verabscheuungswürdigste, ein Greuel vor Gott und jedem guten Menschen.
(28. Grundsatz)
„Den Leibeigenen muß in der verkündeten Freiheit
keine Sklaverei erwachsen. Der Mensch ist nur frei, wenn er auch Mittel
hat, sich selbst nach eigenen Zwecken zu bestimmen.“ (29. Grundsatz)
An der Stelle der stehenden Heere tritt die allgemeine Wehrpflicht (Landwehr und Landsturm).
„Deutschland
kann vor der großen Macht fremder Staaten nur durch die Landwehr
geschützt werden, die sich im Fall der Not als Landsturm erhebt.
Stehende Heere können große Siege erfechten, aber feste Sicherheit kann
ein Staat nur in seinen Bürgern finden. Der Soldatengeist kann hohen
Ruhm erlangen, aber bleibende Ehre gewinnt nur der Bürgersinn. Der
Soldatengeist mag zu kühnen Taten treiben; aber der wahre Heldenmut, der
in Glück und Unglück sich gleich bleibt, geht nur aus echtem Bürgersinn
hervor.“ (10. Grundsatz)
Rede- und Pressefreiheit sind verfassungsmäßig zu garantieren.
„Das
Recht, in freier Rede und Schrift seine Meinung über öffentliche
Angelegenheiten zu äußern, ist ein unveräußerliches Recht jedes
Staatsbürgers“. (31. Grundsatz)
Die Wissenschaft soll dem Leben dienen, vornehmlich das Studium der Moral, Politik und Geschichte.
„Vor
allem wollen wir uns als Studierende eines ernsten und besonnenen
Lebens befleißigen und der Wissenschaft treu und redlich dienen. Aber
der müßigen Gelehrsamkeit, die keine Tatkraft hat und achtet, wollen wir
nicht fröhnen. Mit besonderen Eifer wollen wir alle diejenigen
Wissenschaften studieren, die den Geist über Volk und Vaterland und alle
öffentlichen Verhältnisse […] zu läutern und zu kräftigen vermögen –
Moral, Politik, Geschichte.“ (3. Beschluss)
Alle Spaltungen auf den Hochschulen sollen aufhören, geheime Bünde dürfen nicht bestehen.
„Wir
wollen nicht dulden, daß auf deutschen Hochschulen die alten
Spaltungen, unglückselige Nachbildungen der unglückseligen Spaltungen
des Vaterlands, in Landsmannschaften oder Orden fortbestehen oder
hergestellt werden.“ (4. Beschluss)
Jeder Bursche muß aller Kleinstaaterei und Ausländerei, allem Kastengeist und Despotendienst abschwören.
„Von
dem Lande oder Ländchen, in welchem wir geboren sind wollen wir niemals
das Wort Vaterland gebrauchen. Deutschland ist unser Vaterland; das
Land, wo wir geboren sind, ist unsere Heimat. Auch wollen wir soviel als
möglich, […] alles Fremde in Sprache, Kleidung, Sitten und Bräuchen
vermeiden.“ (10. Beschluss)
„Wenn wir die Hochschule verlassen und
mit irgendeinem Amte, es sei hoch oder niedrig, bekleidet werden, so
wollen wir dasselbe ehrlich, redlich, dem Fürsten treu, dem Vaterlande
ergeben und auf eine solche Weise verwalten, welche dem Sinne
vorstehender Grundsätze entspricht. Aber keiner von uns wird je ein Amt
annehmen, welches einer geheimen Polizei dient oder eine Stelle bei
einer außerordentlichen, gesetzwidrigen richterlichen Kommission und
ebensowenig das Amt eines Bücherzensors.“ (12. Beschluss)
Deutsche Nationalfarben
In
der Folge des Wartburgfestes einigte man sich auf die Gründung einer
Allgemeinen Deutschen Burschenschaft als Gesamtverband. Das Wartburgfest
war auch wichtig bei der Festlegung der deutschen Nationalfarben, denn
die Fahne der Teilnehmer war die erste, die die Farben Schwarz-Rot-Gold
trug. Sie ging auf die Uniformfarben des Lützowschen Freikorps zurück,
dessen Uniform schwarz mit roten Aufschlägen und goldenen Knöpfen war.
Von der Jenaer Burschenschaft wurde zum Fest eine dreibahnige
rot-schwarz-rote Fahne mit einem goldenen Eichenzweig auf dem schwarzen
Streifen mitgeführt, die sie am 31. März 1816 erhalten hatte und die
sich heute im Jenaer Stadtmuseum befindet. Eine Replik ist im Festsaal
auf der Wartburg zu besichtigen.
Die Obrigkeit reagierte alarmiert und fühlte sich an das Vorgehen der Jakobiner während der Französischen Revolution erinnert. Der Direktor im Berliner Polizeiministerium Karl Albert von Kamptz protestierte im Namen Preußens scharf bei Herzog Karl August gegen den „Haufen verluderter Studenten und Professoren“ und verlangte, die Universität Jena, dies „Asyl für Staatsverbrecher“, zu schließen. Der preußische König Friedrich Wilhelm III. wähnte gar, beim Wartburgfest wäre zum Aufstand aufgerufen worden und verlangte von seinem Kultusminister Karl vom Stein zum Altenstein, studentische Verbindungen zu verbieten.