Bei der Zusammenarbeit mit dem Odenwälder Freilandmuseum in Gottersdorf wurde uns durch den ehemaligen Leiter, Herr Naumann, eine Familiengeschichte zur Verfügung gestellt. In dieser findet sich folgende Passage zu den revolutionären Ereignissen von 1849.
Wir hatten daraufhin die Veranstaltung „Der Fenstersprung in die Freiheit“ in dem Museum organisiert und auch die Familiengeschichte ein wenig kritisch unter die Lupe genommen. Das Ergebnis finden Sie hier:
Johann Adam Stumpf – Heldenprahlerei und historische Fakten
Eine Aufarbeitung der Geschichte um die Flucht des Johann Adam Stumpf aus Unterschwarzach
im Jahre 1849
Der Text einer kurzen Chronik der Familie Stumpf, bezüglich des Familienwappens, verrät die Geschichte von einem Familienmitglied, welches sich während der Kämpfe um die Reichsverfassung 1849 in Baden besonders hervorgetan hat und schließlich aus diesem Grund zur Landesflucht und Auswanderung nach Amerika gezwungen war. Der Text dort lautet unter anderem:
„(…) Als die Preußen im Jahre 1849, durch den damaligen Großherzog von Baden um Hilfe gegen die Revolutionäre gebeten wurden, kamen diese auch nach Unterschwarzach in der Frühe und fragten die Bauersfrauen, wo denn ihre Männer seien, da antworteten die tapferen Frauen: „die sind schon in aller Herrgottsfrühe in den Wald zum Bäume fällen“. Dabei waren die Männer, unter ihnen auch Adam Stumpf, zu den Freischaaren übergegangen und kämpften am selbigen Tage erbittert bei Wimpfen am Neckar gegen die gut bewaffneten Preußen. Bewaffnet waren sie nur mit Dreschflegeln, Misthaken und Heugabeln. Trotz dieser schlechten Bewaffnung waren die Bauern siegreich, denn von den 500 berittenen Preußen die an der Schlacht eingesetzt waren, kamen alle ums Leben. Doch die nachrückenden Preußen überwältigten schließlich die Freischaaren, die fliehen mussten um nicht in Gefangenschaft zu geraten. Auch Unterschwarzach wurde besetzt und nach den heimgekehrten Freischärlern durchsucht.
Als der preußische Gendarm das elterliche Haus des Adam Stumpf betrat, flüchtete Adam Stumpf zur Hintertüre hinaus und entkam glücklich nach Rotterdam(…)“
Zu diesem Text gibt es viel zu sagen, viele Informationen darin sind falsch bzw. ergeben in diesem Zusammenhang keinen Sinn. Die anderen vorhandenen bzw. vorliegenden Texte über diesen Johann Adam Stumpf, hauptsächlich englische Übersetzungen, berichten abweichend von Werbern des Großherzoges, welche die Frage nach den Männern stellen. Mündliche Überlieferungen berichten von einem Sprung aus dem Fenster. Anhand historischer Quellen mag dieser Text oben zeitlich zuzuordnen sein, daher soll hier der Versuch unternommen werden, anhand von Informationen aus dem Text, diesen in das historische Geschehen einzubinden und herauszufinden, was damals vermutlich wann und wie passiert ist.
- Werber: Das hier angesprochene Unterschwarzach liegt etwas südlich von Hirschhorn im Neckar-Odenwald. Der Neckarübergang bei Hirschhorn wurde im Mai 1849 von badischen Truppen besetzt. Zu diesem Zeitpunkt war der Großherzog bereits geflohen und seine Truppen hatten gemeutert. Dass Werber des Großherzogs noch umhergezogen sein sollen, ständig der Gefahr ausgesetzt gefangen genommen oder sogar ermordet zu werden, ist recht zweifelhaft. Zudem auch keine loyale Armee mehr bestand. Wofür hätten die Beamten/ Offiziere werben sollen?
- Preußen: Nun gibt die Quelle her, dass preußische Soldaten die Frauen nach ihren Männern befragten. Dies weist darauf hin, dass diese Begegnung nur nach dem 21. Juni stattgefunden haben kann, da die badischen Truppen die Neckarübergänge seit dem Beginn der Angriff am 15. Juni, bis nach der Schlacht von Waghäusel erfolgreich gegen die anstürmenden Truppen des sog. Neckarkorps (Bundestruppen verschiedener Staaten), und später gegen die Preußen des 2. Korps, erfolgreich verteidigen konnten. Der verschenkte Sieg der Revolutionstruppen bei Waghäusel ermöglichte es den Preußen des 1. Korps, welche am Vortag den Rhein von der Pfalz aus überschritten hatten, die Revolutionäre zu umfassen und daher gaben sie erst jetzt die Stellungen am Neckar auf, um dieser Falle zu entgehen. Erst daraufhin gelang den Preußen des 2. Korps der Übergang, während sich das Neckarkorps durch den Odenwald an die württembergische Grenze bewegte um von dort nach Süden vorzustoßen.
- Freischaar: Adam Stumpf und die anderen Männer des Dorfes sollen sich Freischärlern angeschlossen haben. Im Odenwald, also auch am Neckar-Übergang Hirschhorn, war die 5. Division der badischen Armee unter dem Befehl Oberst Johann Phillip Beckers aufgestellt, welche zwar die Flüchtlingslegion und das Ziegelhausener Arbeiterkorps umfasste, aber hauptsächlich aus Volkswehreinheiten bestand. Becker selbst war der Mann, welcher die Volkswehr aufgebaut und formiert hatte. Unter seinem Befehl befanden sich Volkswehreinheiten, welche in Mosbach und Eberbach aufgestellt wurden. Es ist also wahrscheinlicher, dass Adam Stumpf nicht zu irgendwelchen Freischaaren gegangen war, sondern als Wehrpflichtiger(!!!) in eine der Volkswehreinheiten gezogen wurde. Der Begriff Freischaaren hat sich seit dem „Feldzuge“ Heckers in den Köpfen der Menschen festgesetzt, als bewaffneter Haufen freiheitsliebender Demokraten. Die Volkswehr war jedoch eine eilig ausgehobene, halbreguläre Armee aus Wehrpflichtigen.
- Wimpfen: Am selbigen Tag der Befragung der Frauen soll, laut obiger Quelle, bei Wimpfen ein Gefecht stattgefunden haben, bei dem 500 preußische Kavalleristen niedergemacht wurden. Wimpfen, weiter südlich von Schwarzach am Neckar gelegen, wäre wenn überhaupt, von Truppen des Neckarkorps besetzt worden und in diesem Korps gab es keine preußische Kavallerieeinheit, sondern mecklenburgische und hessische Reiter. Von einem gewaltsamen Zusammenstoß beider Armeen bei Wimpfen wird ebenfalls nichts berichtet. Weder Staroste noch Mieroslawski erwähnen einen solchen Kampf in ihren Büchern.
- Dreschflegel, Misthaken und Heugabeln: Auch wenn die Bewaffnung der Volkswehren unzureichend war, so bestand sie nicht, wie bei mittelalterlichen Aufständen aus den Werkzeugen der Bauern, zumal auch Handwerker und Bürger in der Volkswehr dienten. Aus übernommenen Armeebeständen, Requirierungen und Zukäufen aus Frankreich, der Schweiz etc., waren die Volkswehr und die anderen Einheiten mit Musketen ausgerüstet, teilweise jedoch mit veralteten Steinschlossmusketen, zivilen wie militärischen Modellen. Dazu gehörte ein Seitengewehr (kurzer Infanteriesäbel). Die Badener hätten sich mit primitiven Waffen, wie Werkzeugen oder Kriegssensen, nicht so lange am Neckar halten können, wie das Beispiel der Verteidiger der Pfalz zeigte.
- 500 berittene Preußen: In dem besagten Gefecht fielen angeblich 500 berittene Preußen. Es gibt einen Bericht der Schlacht von Ubstadt, in dem eine Schwadron Ulanen von Freischärlern zusammengeschossen wurde. Diese Schwadron des preußischen Ulanenregiments Nr. 8 hatte den flüchtenden Truppen der 6. Division, welche aus den Resten der pfälzischen Revolutionsarmee unter General Sznayde bestand, aufgefüllt mit badischer Linieninfanterie und Artillerie, nachgesetzt. Während die pfälzischen Freischaaren größtenteils flohen, deckten die badischen Truppen den Rückzug und wehrten den Angriff der Ulanen ab. Diese verloren jedoch nicht 500 sondern lediglich 4 Mann und 6 Verwundete sowie 13 Pferde, wie die Regimentsgeschichte bekannt gibt. Staroste schreibt in seinem Buch jedoch, dass diese Begebenheit der Schlacht in der revolutionären Propaganda so ausgeschlachtet wurde, dass die ganze Schwadron vernichtet worden sei. Beckers 5. Division, der Adam Stumpf vermutlich angehört hat, hatte an diesem Gefecht jedoch keinen Anteil. In Durlach erwarb sich die 5. Division unter Becker hingegen berechtigte Lorbeeren, denn sie hielt in einem harten Kampf drei preußischen Divisionen stand und verschaffte den Badenern genügend Zeit um Karlsruhe zu räumen und alles wichtige Material nach Rastatt zu schaffen. Eine militärische Höchstleistung. Wenn Adam Stumpf bei einer großen Schlacht dabei war, dann sicher bei dieser. In Bezug auf die dezimierten Preußen findet sich auch hier ein Beispiel: Das Iserlohner Bataillon des preußischen Landwehrregiments Nr. 16 rückte gegen den verteidigten Pfinzbach vor und musste sich wieder zurückziehen, unter schweren Verlusten. 7 Tote und 86 Verwundete waren für eine Einheit im Gefecht während der Reichsverfassungskampagne vergleichsweise sehr hohe Verluste.
- Besatzung: Der Chronist beschreibt eine Besetzung des Dorfes Unterschwarzach und die Suche nach Angehörigen der badischen Truppen. Den wohl größten Teil der Desertionen hatte die badische Armee seit dem Durchbruchsgefecht bei Sinsheim zu beklagen. Die Moral der Armee war immer weiter schwindend. Die ausgehobenen Wehrpflichtigen, unbezahlt, schlecht verpflegt und im Feld oftmals geschlagen, eine verlorene Sache vor Augen, entzogen sich dem Dienst und der drohenden Verhaftung oder dem Tod im Feld durch Fahnenflucht. Sie kehrten in ihre Dörfer zurück und verbargen sich vor den Preußen oder den revolutionären badischen Truppen, je nachdem, wo ihr Dorf lag. Unterschwarzach dürfte ab dem 22. Juni in preußisch besetztem Gebiet gelegen haben. Es ist fraglich ob Adam Stumpf schon zu diesem Zeitpunkt desertiert und zu Hause war, nach den Kämpfen am Neckar also, so wie die Chronik es beschreibt, oder ob er zu einem späteren Zeitpunkt, nach dem Gefecht von Durlach (25.Juni), zu Hause ankam und durch sein Erscheinen bei den preußischen Militärs Verdacht erweckte.
- Gendarm: Preußische Gendarme folgten der Armee nicht. Sie waren städtische Polizeibeamte, zumindest der Bezeichnung nach. Da französische Sprachbegriffe in Baden noch recht verbreitet war, konnten damit auch Gens d‘ armes (Männer unter Waffen), also preußische Soldaten gemeint sein, was wahrscheinlicher ist. Die Preußen, welche in den Dörfern einquartiert bzw. kanntoniert waren, übten die Polizeigewalt aus, sorgten für Ruhe und Ordnung, sowie für die Verfolgung und Verhaftung von Revolutionären oder als solche Verdächtigten. Erst nach der Rückkehr des Großherzoges übernahmen badische Beamte und Gendarme diese Aufgaben wieder. Die Preußen blieben bis 1850 im Land und zogen nach der Kurhessen-Krise in diesem Jahr ab.
Legende und Wahrheit
Es ist zumindest wahrscheinlich, dass Johann Adam Stumpf sich nicht durch die feindlichen Linien geschlagen hat, denn das wäre sicherlich in der Chronik vermerkt worden. Daher ist es wahrscheinlicher, dass er sich dem Dienst in der Volkswehr durch Fahnenflucht auf dem Rückzug vom Neckar entzog, da Hirschhorn für ihn nah an der Heimat lag und er sich dort ausgekannt haben muss. Ein Rückweg von Durlach oder Rastatt, durch von Preußen besetztes Gebiet, wäre zu riskant und vermutlich auch nicht gangbar gewesen. Dahingehend kann man der Chronik also Glauben schenken.
In Bezug auf seine Teilnahme an einem Gefecht, in dessen Verlauf 500 preußische Kavalleristen niedergemacht worden sein sollen, strafen die zeitgenössischen Berichte seine Worte Lügen. Die Preußen erlitten laut Staroste während des gesamten Feldzuges Verluste in Höhe von 117 Toten und 902 Verwundeten. Insgesamt verloren die eingesetzten Bundestruppen im Kampf gegen die Badener Verluste in Höhe von 154 Toten und 1184 Verwundeten. Laut seinen Angaben wäre ein ganzes preußisches Kavallerieregiment (4 Schwadronen, a` ca. 150 Mann) ausgelöscht worden, eine Angabe, die wir wohl getrost in die Rubrik Prahlerei/Heldenmähr einordnen können.
Bezüglich seiner Flucht vor der Verhaftung liegt die Vermutung nahe, dass die Geschichte eher so ablief: Ein kleines Kommando Soldaten kam, um den Revolutionär Johann Adam Stumpf zu verhaften, weil dieser durch Erzählen obiger „Heldentat“ auf sich aufmerksam gemacht hatte, vielleicht auch denunziert wurde. Er entzog sich der Verhaftung durch Flucht. Ob durch einen Sprung aus dem Fenster oder durch die Hintertür ist natürlich schwerlich nachzuweisen. Jedoch glaube ich nicht, dass die Soldaten, welche im Aufspüren von Rebellen nun eine reiche Erfahrung hatten, den Fehler gemacht haben sollen, die Hintertür nicht zu bewachen, bzw. das Haus nicht zu umstellen. Es kann natürlich auch so gewesen sein, dass sich der Flüchtige gar nicht mehr zu Hause befand sondern stattdessen bereits auf dem Weg nach Amerika war, als die Soldaten anklopften und auch die Geschichte der kopflosen Flucht ins Reich der Sagen und Kriegermärchen gehört…
Abschließen möchte man meinen, dass der Sprung aus dem Fenster zumindest nicht unwahrscheinlich erscheint und es eine nette Anekdote zu dieser Zeit ist!
Quellen:Staroste, Tagebuch über die Ereignisse in der Pfalz und Baden im Jahre 1849, Potsdam 1853
Mieroslawski, Berichte des Generals Miroslawski über den Feldzug in Baden, Bern 1849